28. Jazz Cerkno 18.–20. Mai 2023

„Disorder at the Border“  – mit diesem aussagekräftigen Statement eröffnete am Donnerstag das Quartett um den Lokalmatador Zlatko Kaučič am Schlagzeug das heurige Festival im alten Partisanendorf im slowenischen Berg- und Hügelland. Bestätigt wurde dies von Giovanni Maier am Kon­trabass, Daniele D’Agaro an Tenorsaxophon und Klarinetten sowie Gabriel Mitelli an den Trompeten. Der Musik von Ornette Coleman folgend bewegte man sich energetisch zwischen Streich­- einheiten, intensiven Atmungstechniken, dem eindrucksvollen Spiel am Schlagzeug sowie mit sorgfältiger Auswahl der Blasinstrumente einem furiosen Finale entgegen.

Noise war angesagt, als die japanische Free Jazz Legende Otomo Yoshihide die Bühne am zeltüberdachten Kirchplatz betrat. Diesmal agierte der Meister an den Turntables in völlig abstrakter Manier. Dabei entstanden Soundgewitter, welche auf die Besucher:innenreihen neben dem uralten Dorfbrunnen niederprasselten. Das Unwetter wurde durch extravagantes E-Gitarrenspiel verstärkt. Als genialer Duopartner agierte der amerikanische Altsaxophonist Chris Pitsiokos, welcher mit Electronics diese bizarre Darbietung angelehnt an den japanischen Surrealismus untermauerte.

„The Attic“, das Trio des portugiesischen Tenorsaxophonisten Rodrigo Armado startete eine freigeistige, spirituelle Reise im Stile eines Pharoah Sanders. Zusammen mit dem großartigen Kontrabassisten Gonçalo Almeida und dem Hochgeschwindigkeitsschlagwerker Onno Govaert schaffte man es, die Energie durchgehend hoch zu halten. Als dann noch gebrötzt wurde, schien das Trio buchstäblich durch den Dachboden zu fahren.

„Pop en Bras“ nannte sich ein Projekt am zweiten Tag in der örtlichen Musikschule unter der Leitung von Urban Kušar, einem aus der Schule von Zlatko Kaučič kommenden Schlagzeuger, der hierorts ein Projekt mit ausgewählten Musikern unter 35 Jahren erarbeitete. Durch das groovende Schlagzeug wurden, Free-Jazz-nah, auch lyrische Formen verstärkt durch Electronics auf den Weg gebracht. Eine sehr feine Darbietung von Francesco Ivone, Trompete, Matjaž Kafol, Posaune und Andrej Thompson am Tenorsaxophon.

Zur Erforschung der eigenen und gemeinsamen Klangvorstellungen betrat das 10-köpfige „Šalter Ensemble“ die Bühne. An der Grenze zwischen Komposition und freier Impro setzte sich der Klang­körper mit Musiker:innen aus der Schweiz, Slo­wenien und der Steiermark in experimenteller Form mit der Entwicklung eines eigenen Sounds auseinander. Taktgeber und Hauptfigur war eine elektronisch ferngesteuerte Trommel. Das Repertoire basierte auf 4 Kompositionen von Elisabeth Harnik, Klavier, Tomaž Grom, Kontrabass, Jonas Kocher, Akkordeon und Gaudenz Badrutt, Electronics. Eingeleitet wurden die Werke durch launige Ansagen u. a. vom Trompeter Alfred Lang, welche in den jeweiligen Dialekten erfolgten. Die stark verdichtete Darbietung wurde durch Ilia Belorukov, Saxophon, Estelle Beiner, Violine, Samo Kutin, Drehleier, Irena Z. Tomažin, Stimme, sowie dem Klangforscher und Schlagzuger Seppi Klammer vervollständigt.

Der slowenische Tenorsaxophonist Jure Pukl, welcher in seiner New Yorker Zeit von angesehenen Kritikern als aufstrebender Stern einer kreativen neuen Generation bezeichnet wurde, folgte mit seinem Quartett „Anorok“. Es war eine Mitteilung, welche auf die derzeit chaotische politische und soziale Situation hinweisen sollte. Es gab genug Räume für intensives Solieren, in weiterer Folge für Ralph Alessi, Trompete, Joe Sanders am Kontrabass sowie für den impulsiven Schlagzeuger Ferenc Nemeth. Die Botschaft kam an, das Publikum dankte mit frenetischem Applaus.

Nun beschlossen Angehörige der Familie von Schlippenbach die Bühne zu betreten. Die nach wie vor äußerst agile und mitteilungsfreudige großartige Pianistin Aki Takase, begleitet von dem an Turntables agierenden Vincent von Schlippenbach aka DJ iLLVibe mit seinen coolen Vinylsounds, nahmen die Zuhörer:innen sofort mit auf die Reise. Daniel Erdmann am Saxophon und Klarinette, mit seinen Lyrics, der äußerst agile Kontrabassist Carlos Bica sowie der Schlagzeuger Dag Magnus Narvesen vervollständigten das Quintett. Dieses verwob mit einem energetischen Sound Stile des Jazz, der Avantgarde, experimentelle elektronische Musik und Hip-Hop und hinterließ Begeisterung.

Am Abschlusstag des heurigen Festivals baten Ana Krawanja und Elisabeth Harnik in die Musikschule, um das Publium in sehr eindrucksvoller Weise auf eine intensive und meditative Klangreise mitzunehmen. Mittels präpariertem Klavier und verschiedenen Klangobjekten traf hier der gesamte Klavierorganismus auf eine zarte Violine, um sich dann in gesanglichen und perkussiven Elementen wieder aufzulösen.

Ein besonderes Ereignis war die elektronische Ausstellung des Komponisten und Sounddesigners Andrej Kobal in den Räumlichkeiten des Jazz­for- ­schungsinstitutes. Im Zuge einiger Performances richtete der Künstler mit Vinyl-, Ambient- und Noise-Sounds an den Turntables ein Licht auf die ausgestellten Instrumente.

Ultimative Freude am Spiel und Gesang prasselte nun auf das sehr zahlreich erschienene Publikum ein: das großartige „Tiger Trio“, bestehend aus Myra Melford am Klavier, Nicole Mitchell an der Flöte, sowie Joëlle Léandre am Kontrabass. Eine außergewöhnliche Chemie besteht zwischen diesen drei Damen. Am Ausgangspunkt steht eine kammermusikalische Struktur der Kompositionen. Vom exstatischen Spiel über verschiedene Duette bis hin zum solistischen Eingreifen jeder einzelnen Musikerin wurde die Hörer:innengemeinde mitgerissen.

Ein äußerst experimentelles Duo fand sich mit Elias Stemeseder und Christian Lillinger danach ein. Hinter dem Projekt „Penumbra“ verbarg sich ein Zusammentreffen von Barock mit Avantgarde. Einer Einleitung mittels elektronischer Schlagzeugzuspielung folgte eine intensive Zusammenführung mit den Instrumenten Klavier, Spinett, Synthesizer und Elektronik, immer an der Schnittstelle von Jazz, Avantgarde und Elektronik wandernd, begleitet von intensiven Lichtvisionen.

Dem Reigen ein Ende setzte das Trio „Konstrukt“ mit Gast Rodrigo Amado. Der türkische Multiinstrumentalist Umut Çağlar agierte an der Gitarre, den Blasinstrumenten, der Violine, Electronics, sowie Turntables und kreierte einen eigenen Sound aus Elementen türkischer Musik, Jazzimprovisation und Elektronik. Unterstützt wurde dies vom Kontrabassisten Apostolas Sideris sowie Dimitris Klonis am Schlagzeug, der sein gesangliches Repertoire ausschöpfte. Rodrigo Amado am Tenorsaxophon heftete sich an die Fersen von Peter Brötzmann.

Das Publikum dankte mit langem Applaus und verabschiedete sich in die vom Duft der Calamari durchtränkte Nacht. Am Sonntag wurde man, in Erinnerung schwelgend, vom rhythmischem Glockenspielkonzert der Dorfkirche geweckt.

von Horst Schweigebauer |