artacts 23 3.–5. März 2023, Alte Gerberei, St. Johann in Tirol
Anfang März starteten die diesjährigen artacts im Tiroler Unterland in der brechend vollen alten Gerberei vor ausverkauftem Hause. Herzerfrischend war der Besuch von 18 jungen Musikstudent:innen der Grazer Kunstuniversität unter der Leitung des Free Jazz Forschers Philipp Schmickl, welche eine Studie über das Festival verfassen werden. Am Donnerstag wurde der bunte Reigen mit der Ausstellung „Archiv der seltenen Arten“ im BORG eröffnet. Unter dem Motto „Lehrreiches und Humorvolles“ wurde ein Einblick in 7 vom Aussterben bedrohte Pflanzen gewährt. Bearbeitet wurde das Projekt von der Literatin Elisabeth R. Hager, dem Musikkünstler Martin Mallaun an der Zither sowie elektronisch vom Klangexperten Richard Eigner.
Den Auftakt in der Gerberei leitete ein Auftragswerk des Vereins artacts ein. Hier trafen verschiedene Generationen und stilistische Unterschiede aufeinander. Im neuen Sugar 6TTT tummelten sich unter der Bandleaderin Susanna Gartmayer an der Bassklarinette: Jake Mann, ein Forscher subtiler Feinheiten des Klarinettenklanges, Kenji Herbert, Electric Guitar, sowie Vinicius Cajado, Bass, weiters die feinsinnige Mariá Portugal an Drums, Percussion, Stimme, sowie der geniale John Edwards am Double Bass. Es blieb bei der Komposition auch genug Raum für feine Soli sowie Doppelkonferenzen der Klarinetten und den großartigen Bässen.
Im Anschluss blies im wahrsten Sinne des Wortes die junge skandinavische Avantgarde durchs Tiroler Land. In Form der phantastischen Signe Krunderup Emmeluth, Alto Sax, Christian Balvig am Piano, welcher mit riesiger Spielfreude agierte, Karl Bjora, Guitar, der sich oftmals mit Signe fast im Gleichklang der unterschiedlichen Instrumente vereinte, sowie Ole Mofjell, Drums. Ständig die Gestalt ändernd fanden freie polyrhythmische und schräge Passagen in fein strukturierter Musik zusammen. Eine große Freude war der Auftritt dieser neuen Größen der nordischen Improszene.
Danach folgte das Duo mit der bulgarischen Violinistin Biljana Voutchkova und der Trompeterin Susana Santos Silva. Einem etwas intensiveren Beginn folgten dann leise Töne mit Vereinigung von Stimme und Violine, im Zwiegespräch mit dem einzigartigen Klang der Trompete.
Abschließend betrat das erste von 5 Trios beim diesjährigen Festival die Bühne, in Form von Elisabeth Harnik am Piano, Joëlle Léandre am Double Bass sowie Zlatko Kaučič an den Drums. Elisabeth Harnik, eine der ganz Großen im freien Spiel sowie Joëlle Léandre, eine der prägendsten Musikerinnen der vergangenen Dekaden im Bereich der Improszene, sowie Zlatko Kaučič, einem wahren Meister des Klanges. Gemeinsam zelebrierten sie ihr ganzes Können zu einem großartigem Hörerlebnis. Die Darbietung am und im Klavier, die Konversation mit dem Bass sowie die Klangmalerei am Schlagwerk waren schon etwas ganz Besonderes.
Der Auftakt am Samstag gehörte in der Reihe „Lauschen & Plauschen“ den ganz Kleinen. Zahlreiche Elternpaare fanden sich mit ihren 0–3jährigen Sprösslingen ein, um beim Trompetenspiel von Franz Hautzinger Neues zu erfahren.
Inmitten der Ausstellung „Archiv seltener Arten“ traf Grand Dame auf brillante Jugend. Joëlle Léandre begab sich mit Vinicius Cajado auf eine Reise, wobei sich immer wieder die Mezzo Stimme in ihr Spiel einmischte, um danach mit der perkussiven Bassbearbeitung von Vinicius zu kommunizieren. Eine sehr beeindruckende Vorstellung.
Anschließend kam es in der Gerberei zu nordischen Explosionen mit dem Andreas Røysum Ensemble. Mit Doppelbesetzungen der Bässe, den Drums, den Saxophonen sowie Klarinette, Flöte, Violine und Cello entstand ein bunter Reigen traditioneller Musik aus Asien und Afrika, revolutionärem Free Jazz und zeitgenössischer westlicher Musik. Ein Mäandern zwischen Chicago 10TTT, Coltrane, Braxton sowie den komplexen Elementen dieser formidablen Band.
Mit den Worten „wir spielen alten Jazz mit dunklen Wurzeln“ eröffnete Mats Gustafson die Duo-Kollaboration mit seinem Landsmann Joachim Nordwall. Keinesfalls so explosiv wie gewohnt erarbeitete Mats mit seinem Blowing-Stuff, u. a. mit kleinen unterschiedlichen Holzblasinstrumenten, einen Schwall an Energie im niederdynamischem Kontext, von Joachim Nordwall mittels Synth Loving dunkel untermalt.
Als „The World Best Jazz Trio“ wurde die Band Space angekündigt, mit Lisa Ullen am Piano, Elsa Bergman am Double Bass und Anton Jonsson an den Drums. Es entwickelte sich ein Drang zu unvorhersehbaren dynamischen und harmonischen Wandlungen. Das Schlagzeug wurde in hohem Tempo, aber immer mit einer sanften Note bearbeitet, das Piano mit magischem Spiel vermittelnd zum Bass, welcher in allen Variationen bedient wurde. Es war ein Wandeln zwischen amerikanischer Free Jazz Tradition sowie zeitgenössisch klassischer Musik. Standing Ovations zum Schluss.
Das Trio mit Craig Taborn am Piano und Electronics, Tomeka Reid am Cello sowie Ches Smith an Drums und Percussion begeisterte im Anschluss. Neue Kompositionen, welche die Trennlinie zwischen zeitgenössischer Kammer-, Impro-, Jazz-, Groove und Rootsmusik überschritten, waren Programm. Craig Taborn bearbeitete mit größter Hingabe die Tasten, Tomeka Reid in hoher Konzentration ihr Streichinstrument und Ches Smith agierte in Hochform am Vibraphon und am Schlagwerk. Ein fulminanter Schlussakt.
Am Sonntag Nachmittag erfolgte im Porsche Autohaus Chris Janka’s Performance mit seinem Totally Mechanized MIDI Orchester, welches die Klänge eines bis zu 100 köpfigen Klangkörpers, aufgebaut an Motoren, Release, Elektromagneten und pneumatischen Baustellen vermittelte. Durchgeführt wurde das Projekt von Blueblut mit Pamela Stickney am Theremin sowie Mark Holub, dem aus den USA stammenden Drummer. Schräge Sounds brachten mitunter das Publikum zum Tanzen.
Den letzten Festivaltag eröffnete Franz Hautzinger an der Trompete mit seinem Trio „Pink Forest“. Der rastlose Forscher zwischen Kulturen und Stilen hat mit seiner einzigartigen Ausdrucksform diesem Instrument neue Wege des Bizarren und der Tonalität geebnet. Guylaine Cosseron begab sich mit ihrer eindrucksvollen Stimme auf Erkundungsreisen, und Benjamin Duboc am Double Bass beglückte mit einem Gefühl der Verschmelzung.
Minimalistische Formen trafen danach in dem Trio C / W I N aufeinander. Dušica Cajlan am Extended Piano erforschte intensiv den Innenraum des Klaviers, Georg Wissel lotete seine Klangtechnik mittels Präparation am Saxophon aus. Der Perkussionist Etienne Nillesen reduzierte sein Spiel auf die Snaredrum um sich ganz auf den komplexen Klang zu fokussieren.
Das letzte Konzert des Festivals beschritt Ken Vandermark am Sax mit seinem Quartett. Mathias Muche an der Trombone, Martin Blume an den Drums und Thomas Lehn am Analog Synthesizer ließen das Improherz höher schlagen. Dynamik, Hardcore Free Jazz, kontemplative Abschnitte und Exkursionen wechselten sich ab.
SOUNDBRIDGES – Brücken wurden gebaut und überschritten! Ein Motto des Festivals! Chapeau an Karin Girkinger und Hans Oberlechner für die sehr abwechslungsreiche und ausgewogene Programmierung sowie an das gesamte Team!