Ulrichsberger Kaleidophon 28.–30. April 2023, Jazzatelier Ulrichsberg

Im Dorf liegt mystischer Nebel und drinnen im Gemäuer betraten 4 außergewöhnliche Musiker die Bretter des Geburtstagskindes, welches heuer stolze 50 Jahre Jazzatelier feiern darf. Frank Gratkowski an Saxofon, Flöten und Klarinette, welcher mit den Holzblasinstrumenten, auf ruhigen Phasen basierend, den Ausgangspunkt für ein explosives Zusammentreffen mit seinen musikalischen Partnern schuf. Das wohldurchdachte Spiel am Klavier durch Achim Kaufmann, sowie Wilbert de Joode am Bass, der sich mit dem wie immer bestens in Laune befindlichen Schlagzeuger Toni Buck spannende Diskurse lieferte, bescherte einen fulminanten Auftakt des aus Deutschland, Holland und Australien kommenden Quartetts und erfreute die zahlreich erschienenen Gratulant:innen.

„Metal Breath“ war der Name des Projektes zweier Improvisatoren aus England und Deutschland: Phil Minton, der mit seiner stimmlichen, pfeifenden, schreienden Kunst die Zuhörer im vollbesetzten altehrwürdigen Bauwerk begeisterte, sowie Carl Ludwig Hübsch an der Tuba, welcher seinen Fokus immer auf den Moment des Entstehens richtet. Zeitweise konnte man die beiden auch in improvisierter Zweistimmigkeit hören.

Hochklassige freie Improvisation zweier Pioniere des japanischen Free Jazz begleitet vom britischem Schlagzeugurgestein Roger Turner war zum Abschluss des ersten Festivaltages angesagt. Otomo Yoshihide bearbeitete seine E-Gitarre mit großer Intensität und enormer Ausdauer, wobei verschiedene Klang- und Streichkörper bei seinen Forschungen zum Einsatz kamen. Der Pianist Masahiko Satō spannte einen wunderbaren Bogen darüber. Roger Turner agierte druckvoll, dynamisch, aber immer im Kontext, großartig. Danach entließ das Trio die Besucher:innen mit magischen Eindrücken wahlweise in den Versorgungstunnel bzw. in die kalte regnerische Nacht.

„Kirchgang“ war das Wort zum Träumen, es kam in dem Werk „hay que caminar sonando” zum Ausdruck. Gehuldigt wurde hierbei der Musik des italienischen Avantgarde Komponisten Luigi Nono. Unter dem Motto „Gehen – sich weiter bewegen“ schritten die beiden Violinist:innen Annelie Gahl sowie Alexander Gheorghiu zu verschiedenen Stand­orten in der örtlichen Pfarrkirche, von wo dann ein Klangerlebnis der besonderen Art auf die vollbesetzten Besucher:innenreihen einwirkte.

Es blieb bei unseren südlichen Nachbarn für das erste Konzert am Samstag in der Geburtstagsburg. Luca Tilli am Cello sowie Sebi Tramontana an der Posaune, ein durchaus skurriles Duo, entwickelten sehr liebevoll kommunizierend ihren Sound und wandelten auf den Spuren feiner Nuancen, mit stimmlicher Aufmunterung zum Ende der Darbietung.

Das Stück „In Memoriam Global Village“ sollte an das Konzept von Peter Kowald zwischen 1995 und 2002 erinnern und gelangte nun zu seiner Aufführung. Gunda Gottschalk bezauberte dabei mit ihrem Gesang und dem Spiel auf der Violine. Stimmlich sehr beeindruckend auch Xu Fengxia, sowie am Guzheng, einer chinesischen Wölbbrettzither mit uralter Tradition, und am Sanxian, einer dreisaitigen Langhalslaute, denen die Künstlerin selten gehörte Sounds entlockte. Peter Jacquemyn war darauf bedacht, seine Stimme stets über den Bass zu lagern und wechselte dabei oft rasch die Rhythmen. Günter Baby Sommer, die deutsche Free Jazz Schlagzeuglegende der ersten europäischen Generation, ergänzte dieses hervorragende Quartett. Durch sein enormes Einfühlungsvermögen war er immer bereit, mit hoher Energie in die Kommunikation einzutreten und lies dabei seinem Beat freien Lauf.

In der sehr feinen Programmgestaltung durfte das Publikum nun einen weiteren Höhepunkt mit dem Sylvie Courvoisier Trio erwarten. Die Schweizer Pianistin bearbeitete die Tasten mit gewohnt intensiver Hingabe. Drew Gress am Bass arbeitete sich an den Kompositionen sowie auch im Freiraum der Triokonstellation sehr intensiv ab. Kenny Wollesen, der meisterhaft agierende amerikanische Schlagzeuger, trieb das Geschehen voran, welches auch durchaus den Blues hatte.

Sonntag war’s und es ging „an den Mond“, im Zuge einer Improvisation für Stimme und Violine, vorgetragen durch die bulgarische Geigerin Biliana Voutch­kova. Das sehr intensive Konzept mäanderte dann weiter in das ökologische Manifest. Hier traf dann die verstärkte Violine auf die Stimme von Peter Ablinger, der mit Texten, Klangelementen wie Dosen, Blech- und Geschirrteilen versuchte, die Musik aus sich selbst heraus weiter wachsen zu lassen.

Peter Herbert auf seinem naked Bass und Josef Novotny, der am Klavier durch verstärkte Elektronik zeigte, wie Klavier nicht klingt, setzten den Reigen fort. Bizarre Klänge, triggernd, freischwebend, kamen aus dem Instrument und wurden durch das reine Bassspiel Herberts wieder eingefangen.

Das Trio „Jane in Ether“ folgte, mit Miako Klein an Blockflöten und Paetzold, Magda Mayas am Klavier sowie Biliana Voutchkova an Violine und Stimme, welche seit 2019 in Berlin an gemeinsamer Musik arbeiten, die von fragilen Texturen bis zu undurchdringbaren Geräuschclustern reicht. Dabei entstand ein sehr meditativer Zustand, der vom virtuosen Klavierspiel, den intensiven Flöten und Paetzold­tönen sowie der durch Stimme verstärkten Violinenklängen getragen wurde.

Zum Abschluss des Festivals erschienen 3 Meisterimprovisatoren aus dem Kingdom auf der Bühne. John Butcher am Tenor- und Sopransaxofon, John Edwards am Bass sowie Mark Saunders am Schlagzeug ließen dabei die Bretter vibrieren. Mit ihren präzisen Improvisationen und teilweise zurückhaltenden Strukturen bishin zu hoch energetischen Reisen ließen sie die Community begeistert zurück. Minutenlange stehende Ovationen, auch für Alois Fischer, dem ein Riesendank gebührt.

von Horst Schweigebauer |