Von einer, die ihre Stimme verlor und wieder fand

Wenn du deine Stimme verlierst, passiert das ganz unbemerkt. Im Hintergrund wirst du immer stiller. Du verstummst einfach und irgendwann bist du nicht mehr da. Oder zumindest ist deine Persönlichkeit abgängig. Du weißt, irgendetwas fehlt, aber du weißt nicht, was es ist. Beziehungen zu Narzist:innen gehen meistens schief. So kann ich mich hier nicht ausnehmen.

Über ein Jahr wurde ich für mein Buch mit handgeschriebenen Begriffsdefinitionen zu verschiedenen Ismen belächelt, ich wurde permanent korrigiert und als unerfahrenes Naivchen deklariert (that’s nur die Eisspitze, aber darum geht’s nicht). Ich plauderte durch die Gegend. Aufgeregt von den unzähligen Erkenntnissen, die ich durch meine Auseinandersetzung mit Feminismus und sexualisierter Gewalt machte. Mein Gegenüber? Der Mann, der sich seiner Privilegien mäßig bewusst war, der meine gewonnene Energie nicht feierte, sondern mich jedes Mal mit Wissen übertrumpfen musste, gerne auch einfach mal das Thema wechselte und mich bei jeder Kleinigkeit korrigierte. „Es heißt nicht ‚das Trinken‘. Das ist so lächerlich.“ „Man sagt nicht ‚PuZZeln‘, sondern [passln].“ „Warum beschäftigst du dich so viel damit? Du bist ja eh nicht vergewaltigbar.“

Gleichzeitig war er die Person, die auch nach mehrmaligem Bitten und Argumentieren, weiterhin das N-Wort sagte, weil’s „zur eigenen Psychohygiene“ diente. Ich glaub, ich muss an dieser Stelle nicht anmerken, dass er natürlich weiß war. Es ist mir nicht aufgefallen. Also klar, mir ist aufgefallen, dass diese Beziehung nicht gesund ist, dass es so nicht laufen sollte und die Regeln, die ER festgelegt hat, unerfüllbar sind, so sehr ich mich auch bemühte. Es würde immer Fehler geben, auf die er mit seinen Fingern zeigen und die er mit seinen Worten herausarbeiten würde, um mir im nächsten Atemzug die Welt zu erklären.

Mir ist aufgefallen, dass es mir nicht gutging. Mir ist aufgefallen, wie unglücklich ich mit der Zeit wurde. Mir ist nicht aufgefallen, wie diese Person mir meine Stimme genommen hat. Mich glauben ließ, dass ich dumm wäre, im Diskurs mit anderen nicht mithalten könnte und sowieso noch nichts von der Welt verstehen würde, weil mir einfach Lebenserfahrung fehlte. Mit meiner Stimme verabschiedete sich auch mein Selbstbewusstsein. Am liebsten war ich zuhause. Las meine Bücher, bildete mich zu Themen weiter, schrieb Texte, bemerkte Dinge in der Welt – doch alles für mich alleine, im Geheimen. So als dürfe niemand wissen, womit ich mich beschäftige, weil es ja lächerlich ist.

Das alles änderte sich schlagartig mit der Auftaktveranstaltung der Reihe „The Future Starts Now“. Alice Erik Moe, Jaqueline Scheiber und Tamara Imlinger waren zu Gast und nach einer Lesung gab es eine interaktive Diskussionsrunde mit dem Publikum (und anschließendem sehr feinen DJ-Set von Parkwaechter Harlekin). Worum’s ging? Um die Themen Körperbewertung, sexualisierte Übergriffe auf Events und das Schaffen von sicheren Räumen. Worum’s für mich ging? Um die Angst zu versagen. Um die Angst, Fehler zu machen. Um die Angst, dass jede:r erkennt, was für ein dummes Kind ich bin.

Hier muss angemerkt werden, dass ich die Moderation für den Abend spontan übernommen hatte. Eine Position, die mir von vornherein nicht geheuer war. Mich zu präsentieren, mich auf eine Bühne zu stellen und all meine Makel mit Scheinwerfer beleuchten zu lassen, ist in etwa meine persönliche Horrorvorstellung.

Und dann stand ich da, leitete den Abend ein und … machte mich nackig. Stülpte mein Inneres nach außen. Entschied mich dazu, die Angst mit purer Blöße freizulegen. Wie viel ich dabei geschwitzt habe, weiß nur mein T-Shirt. ;) Also redete ich von der Angst, Fehler zu machen, diskriminierend zu sein, nicht alles richtig machen zu können. Und irgendwie kippte danach die Stimmung im Raum. Nicht ins Schlechte, sondern es war ein erleichtertes Ausatmen spürbar. Tja, und dann ging’s los.

Nach einer tollen Lesung aus Jaqueline Scheibers neuem Buch „Ungeschönt“ und dem Auffüllen der Getränke startete die Diskussionsrunde mit Alice, Tamara, Jaqueline und meiner Wenigkeit. Da saßen wir also. Redeten ungeschönt über unsere Gedanken und Erfahrungen, warfen persönliche Fragen ebenso in den Raum wie wis­sen- ­schaftliche Entwicklungen. Wie gehen wir mit Kolleg:innen um, die permanent Körper bewerten? Warum werden sexualisierte Übergriffe bei Veranstaltungen meist toleriert? Wie können wir die Hemmschwelle für Hilfsangebote bei unangenehmen Situationen minimieren? Warum hetzen Rech- te gegen Kinderlesungen von Drags? Wieso unterscheiden wir Klos immer noch nach binären Geschlechtern und nicht nach Sitzklo & Pissoir?

Und während wir uns all diese Fragen stellten und Überlegungen machten, wurde das Publikum im­mer aktiver. Teilte die eigenen Ansichten, stellte selbst Fragen, erzählte von Erfahrungen. Die Menschen waren so interessiert und im Raum ließ sich ertasten, dass hier gerade ein besonders rarer Moment passierte. Dass wir eine Gesprächsebene schaffen konnten, bei der sich jede:r inkludiert fühlte, wo vieles mitgedacht wurde und alle sensibel und rücksichtsvoll im Gespräch waren.

Ich persönlich war emotional sehr gefühlsüberschwappt nach diesem so unfassbar schönen und doch so überraschenden Abend. Nach dieser Veranstaltung war irgendetwas anders in mir. Ich konnte es nicht benennen, redete trotzdem vier Tage durchgehend ohne Pause, stolperte über meine Worte und machte eine Erkenntnis nach der anderen. Wie viele Erkenntnisse diese Tage innehatten, konnte ich nicht mehr zählen. Ich entschied mich dazu, ab sofort ganz absichtlich „das Trinken“ und „PuZZeln“ zu sagen, mich wieder mehr zu trauen und notfalls Fehler einzuräumen und zu korrigieren.

Was ich jetzt weiß? Dieser Abend hat mir meine Stimme wieder gegeben. Mich daran erinnert, dass es gar nicht darum geht, perfekt und allwissend zu sein. Sondern dass es darum geht, sich zusammenzuschließen, zu solidarisieren, sein Bestes zu geben und Kräfte zu bündeln. Jede:r von uns strug­gelt, wir wurden alle mit verschiedenen Diskriminierungsformen sozialisiert. Wir können nicht von heute auf morgen alles richtig machen. Aber was wir tun können: Uns mit Themen auseinandersetzen, anderen zuhören, uns selbst und das eigene Verhalten reflektieren und versuchen, Dinge besser zu machen. Solidarität hat so eine gewaltige Kraft. Das durfte ich an diesem Tag selbst spüren und ich bin froh und dankbar, die Erfahrung gemacht zu haben. Danke an all die Menschen, die dabei wa­ren und diesen Abend so magisch gemacht haben.

PS: Wer sich immer noch fragt, was die richtige Bezeichnung für „das Trinken“ ist: Es heißt „das Getränk“. Tja, meine Therapeutin musste auch nach­- fragen und schüttelte nur den Kopf.

Einen Auszug des Gesprächs gibt es auch in der Sommerausgabe der KUPFzeitung und auf kupf.at/zeitung zu lesen.

Veranstaltung verpasst und neugierig? Die Veranstaltung könnt ihr auf unserem Youtube-Kanal und auf DORFTV nachschauen. Mit diesen Links gelangt ihr direkt zu den Videos: 

https://www.youtube.com/watch?v=QSxHX5TgbRQ

 https://www.dorftv.at/video/41991

Jaqueline Scheiber ist Autorin und auf Instagram als @minusgold bekannt. Alice Erik Moe ist Drag King und queer Activist. Auf Instagram zu finden unter @alicemoe_ericbigcltdrag. Tamara Imlinger ist Künstlerin (v. a. Schriftstellerin) und Geisteswissenschaftlerin. Mehr von ihr findet ihr unter www.tamaratrackt.at und in diesem Blog.

von Katja Frey |